Fachkräftemangel im Pflegeheim: Alles eine Frage der Führung?
Warum es in Zeiten eines enormen Wirtschaftlichkeitsdrucks und starker Reglementierung bei der Personalgewinnung und -bindung mehr denn je auf die richtige Führung ankommt, erklärt Prof. Dr. Armin Trost im Interview.
Prof. Dr. Armin Trost lehrt und forscht seit 2005 an der Hochschule Furtwangen. Er gilt als einer der führenden Vordenker im Personalmanagement und beschäftigt sich aktuell mit Fragen der Führung und Organisation im Kontext der Digitalisierung. Neben seiner Lehrtätigkeit berät er seit vielen Jahren erfolgreich Unternehmen, ist Autor zahlreicher Fachbeiträge und Bücher sowie regelmäßiger Blogger beim Harvard Business Manager.
Ein enormer Fachkräftemangel prägt die Pflegebranche, was empfehlen Sie den Betreibern von Pflegeheimen?
Dieses Thema belastet viele Pflegeeinrichtungen bereits seit vielen Jahren. Daher beobachte ich immer mehr Einrichtungen, die zunehmend auf effektive Methoden der Personalgewinnung setzen, wie man sie aus anderen Branchen kennt. Dazu gehören Maßnahmen im Bereich des Employer-Brandings genauso wie moderne Sourcing-Ansätze. Man denke etwa an Mitarbeiter-Empfehlungsprogramme oder die Kooperation mit Ausbildungsinstituten. Mir scheint, viele Organisationen sind hier auf einem guten Weg. Trotzdem gibt es noch sehr viel zu tun. Es bedarf der Erkenntnis, dass Personalgewinnung keine Verwaltungsaufgabe der Personalabteilung allein ist. Es reicht nicht, sich als attraktiver Arbeitgeber zu präsentieren, man muss auch einer sein.
Was bedeutet es aus Ihrer Sicht, als Pflegeheim auch attraktiver Arbeitgeber zu sein?
Mir sind die strukturellen internen und externen Rahmenbedingungen bewusst. Vieles davon erscheint als unüberwindbare Hürde auf dem Weg zum attraktiven Arbeitgeber. Man muss sich aber vor Augen führen, welches ungeheure Potenzial in dieser Branche steckt. Die Mehrheit der Pflegekräfte ist intrinsisch motiviert. Sie erleben einen direkten, persönlichen Kontakt zu ihren Kunden, den Heimbewohnern. Sie erfahren eine enorme Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit. Sie wissen am Ende eines Arbeitstages, was sie geleistet haben. Ich will hier nicht romantisieren. Der Alltag ist zuweilen äußerst belastend. Aber um diese positiven Bedingungen würden andere Branchen die Pflegebranche beneiden.
Das entscheidende Problem ist aus meiner Sicht das Führungsverständnis, das in vielen Einrichtungen dominiert. Hier wird erhebliches Potenzial auf unverantwortliche Weise zerstört. Mein Vater war bis vor einem Jahr in einer vorbildlichen Pflegeeinrichtung. Die Pflegekräfte machten immer einen hoch motivierten und zufriedenen Eindruck. Als ich eine Kollegin fragte, woran dies läge, bekam ich die Antwort: „Wir haben das Glück, eine Heimleitung zu haben, die uns vertraut.“ Genau das ist das große Geheimnis. Man darf die Bedeutung der Führung nicht unterschätzen.
Ich habe in den vergangenen Jahren hunderte von Unternehmen, darunter viele Pflegeeinrichtungen kennenlernen dürfen. Wenn Sie mich heute fragen, was der Hauptunterschied zwischen jenen ist, die bei der Personalgewinnung und -bindung erfolgreich sind, und jenen, die es nicht sind, dann wurde ich Führung als den ultimativen Schlüssel hochhalten. Attraktive Arbeitgeber vertrauen ihren Mitarbeitenden und begegnen ihnen mit einem hohen Maß an Wertschätzung.
Warum tun sich Pflegeeinrichtungen dann so schwer und was wären praktische Ansätze?
Die Pflegebranche ist von einem enormen Wirtschaftlichkeitsdruck und von zum Teil irrsinniger Reglementierung belastet. Die Bedingungen machen einen regelrecht fassungslos. Sie bilden einen spürbaren Kontrast zur intrinsisch motivierten, verantwortungsvollen Haltung jener, die tagtäglich
Unglaubliches leisten. Diese Bedingungen schlagen aber durch. Die Kunst besteht darin, innerhalb dieses Kontextes Rahmenbedingungen zu schaffen, die Pflegekräfte schützen. Es bedarf der Räume des Vertrauens und der Wertschätzung.
Dass dies möglich ist, zeigen immer mehr Beispiele. Wie dies im Einzelnen aussieht, ist pauschal schwer zu sagen. Wir haben es mit einer zentralen Führungsaufgabe zu tun, gemeinsam und vertrauensvoll mit den Kolleginnen und Kollegen um Wege und Möglichkeiten zu ringen. Heimleitungen sollten nicht im stillen Kämmerchen über Rahmenbedingungen nachdenken. Andere Branchen liefern hier wertvolle Impulse in Richtung geregelter Selbstorganisation, Teamarbeit, flexibler Arbeitsbedingungen etc. Wo es geht, sollten Pflegekräfte vor Bürokratie und formaler Kontrolle beschützt werden.
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Markus Bienentreu
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