Mangel im Doppelpack
Um den enormen Pflegebedarf in den kommenden Jahrzehnten quantitativ wie qualitativ zu decken, sind hohe Investitionssummen erforderlich. Wie sich der Kampf gegen den drohenden Pflegenotstand gewinnen lässt, erklärt Prof. Dr. Boris Augurzky, RWI Essen.
Bis 2030 werden in Deutschland über eine Million Menschen auf stationäre Pflege angewiesen sein. Das entspricht einem zusätzlichen Bettenbedarf von etwa 271.000 Plätzen. Rund 55 Milliarden Euro müssten hierzu in den Neu- und Ersatzbau investiert werden – für die öffentliche Hand alleine ist das nicht zu stemmen. Privates Kapital wird also dringend benötigt, auch Gesundheitsminister Jens Spahn bestätigte dies zuletzt.
Legislative Vorgaben verknappen das Angebot
Fakt ist: Um private Investitionen zu generieren, müssen auch die politischen Rahmenbedingungen stimmen – auf dem deutschen Pflegemarkt gestalten sich diese jedoch weiterhin ungünstig. Strenge Bauvorgaben und steigende Baukosten hemmen die Neubautätigkeit, dies belegt auch der TERRANUS Investitionskostenindex: Vergleicht man die gesetzlich regulierten Investitionskosten und damit auch die Entwicklung der Mieten für Pflegeheime mit den allgemeinen Verbraucherpreisen und dem Mietpreisindex für Wohnungen, zeigt sich in den meisten Bundesländern eine deutlich langsamere Steigung. Eine Entwicklung, die langfristig keinen größeren Anreiz für private Kapitalgeber bietet.
Weniger Pflegeplätze, kein Personal
Gleiches gilt für einen sich abzeichnenden Fachkräftemangel: „Neben politisch-regulatorischen Unwägbarkeiten ist das größte Risiko für Investoren der Mangel an Pflegekräften. Es hilft nichts, ein modernes Pflegeheim zu haben, wenn mangels Personal keine ausreichend hohe Auslastung erreicht werden kann“, sagt Prof. Dr. Boris Augurzky vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen. Die Politik möchte diesem Problem aktuell mit dem neuen Pflegekräfte-Stärkungsgesetz begegnen und plant 13.000 zusätzliche Stellen in Pflegeheimen – verfügbar sind diese Pflegekräfte auf dem Arbeitsmarkt jedoch derzeit nicht.
Blick in die Zukunft: AAL und Roboter als Lösung?
Um mit weniger Personal auszukommen, ist künftig auch die Integration neuer technischer Möglichkeiten denkbar: Roboter können den Pflegealltag beim Heben von schweren Patienten erleichtern oder bei logistischen Aufgaben unterstützen. Altersgerechte Assistenzsysteme wie Ambient Assisted Living (AAL) erlauben es, möglichst lange selbstständig zu leben. „Das alles wird jedoch nicht reichen“, erklärt Augurzky, „Wir brauchen auch mehr Pflegekräfte. Dazu muss die Pflegeausbildung attraktiver und eine Zuwanderung von qualifizierten Pflegekräften forciert werden.“
Kurzum: Betreiber wie Investoren können diese Problematik nicht im Alleingang lösen. Wer die dringend benötigten Investitionen in Pflegeheime wünscht, sollte die Regeln investitionsfreundlich gestalten. Denn Kapital wird nur bereitstehen, wenn es attraktiv vergütet wird – wie Personal auch.