Pflegereform: Finanzierungslücken schließen
Künftig werden alle Pflegekräfte nach Tarif bezahlt und Kräfte aus dem Ausland, die in Deutschland Menschen betreuen, erhalten den Mindestlohn – so zwei aktuelle Beschlüsse. Um diese umsetzen zu können, ist eine grundlegende Finanzierungsreform der Pflege nötig, fordert TERRANUS-Geschäftsführerin Anja Sakwe Nakonji.
Höhere Löhne für Pflegekräfte sind notwendig. Zum einen als Anerkennung ihrer Arbeit, zum anderen, um bei der Personalgewinnung Chancengleichheit zwischen Krankenhäusern und Altenhilfe zu schaffen. Nach Angaben des Arbeitsministeriums erhält nur knapp die Hälfte der rund 1,2 Millionen Pflegekräfte in Deutschland derzeit den Tariflohn. Das geht so nicht weiter, keine Frage. Allerdings müssen die Pflegekassen die höheren Löhne auch refinanzieren, sonst geraten viele Einrichtungen in wirtschaftliche Schieflage. Denn ab dem 1. September 2022, so sieht es die Pflegereform 2021 vor, können nur noch die Einrichtungen mit der Pflegeversicherung abrechnen, die ihre Pflege- und Betreuungskräfte nach Tarif bezahlen.
„Bundesgesundheitsminister Jens Spahn muss sich jetzt dringend mit einer Finanzierungsreform der Pflege beschäftigen“, fordert Anja Sakwe Nakonji. Zwar sieht die verabschiedete Reform eine zusätzliche Querfinanzierung der höheren Löhne durch Steuergelder vor, eine nachhaltige Regelung zur Eigenanteil-Deckelung bei den Pflegekosten fehlt jedoch. „Da ist auch der jährliche Steuerzuschuss von einer Milliarde Euro für die Pflegeversicherung, der ab 2022 gezahlt werden soll, nur ein Tropfen auf den heißen Stein“, so die TERRANUS-Expertin weiter. Die Folgen des demografischen Wandels lassen sich damit nicht bewältigen. Eine weitere Entscheidung bringt immerhin ein wenig Entlastung für die stationär untergebrachten Pflegebedürftigen mit Pflegegrad 2 bis 5 mit sich. So soll deren Eigenanteil im ersten Jahr im Pflegeheim um 5 Prozent, im zweiten um 25 Prozent, im dritten um 45 Prozent und ab dem vierten Jahr um 70 Prozent sinken. Dies betrifft jedoch nicht die Investitionsfolgekosten sowie die Kosten für Unterkunft und Verpflegung.
Hohe Mehrkosten bei der 24/7-Pflege
Bei allen Maßnahmen der Pflegereform fällt eine Gruppe komplett heraus: diejenigen, die ihre Angehörigen zuhause pflegen. Sie versorgen rund 75 Prozent der Pflegebedürftigen in Deutschland. Weil viele Betroffene ihren Angehörigen so lange wie möglich ein selbstbestimmtes Leben zuhause bieten wollen, nutzen sie die Unterstützung ausländischer Pflegekräfte. Schätzungsweise 150.000 bis 300.000 Pflegekräfte aus Osteuropa arbeiten in deutschen Haushalten – und die Entlohnung dieser Kräfte ist oft meilenweit von Mindestlohn oder Tarifbezahlung entfernt.
Die finanzielle Ungleichheit soll nun durch ein aktuelles Urteil des Bundesarbeitsgerichtes korrigiert werden. Demnach erhalten auch sie den Mindestlohn sowie eine entsprechende Entlohnung ihrer Bereitschaftszeiten. Zurzeit prüft das Landesarbeitsgericht, was genau die Bereitschaftszeit der 24/7-Pflegekräften beinhaltet. Sollte das Urteil rechtskräftig werden, wäre die häusliche Pflege für viele kaum noch zu finanzieren, die Nachfrage nach Pflegeheimplätzen und auch die Schwarzarbeit würde explodieren. Die existierenden Pflegeheime könnten die große Zahl der privat Gepflegten im Fall der Fälle jedenfalls nicht ansatzweise aufnehmen. Ursprünglich geplante Erhöhungen des Pflegegeldes oder des Tagespflege-Budgets sowie die Einführung des Entlastungsbudgets wurden in der neuen Reform schließlich ersatzlos gestrichen. Nur die Leistungen zur Finanzierung von Pflegediensten für die medizinische Versorgung werden erhöht. „Höhere Löhne für Pflegekräfte – ob aus Deutschland oder dem Ausland – sind notwendig. Doch ohne finanzielle Solidität ist das nicht ohne zusätzliche Belastungen der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen umsetzbar“, mahnt Anja Sakwe Nakonji.
Wagnis- und Risikozuschlag für Pflegeheimbetreiber und Pflegedienste
Der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste e. V. kritisiert in der neuen Pflegereform ein weiteres Detail: Die Bedürfnisse und unternehmerischen Anforderungen privater Betreiber von Pflegediensten und -heimen werden in keiner Weise berücksichtigt. Doch das ist Voraussetzung dafür, dass diese Einrichtungen auch auf lange Sicht zukunftssichere und attraktive Jobs sowie gute pflegerische Angebote für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen bieten wollen. Das heißt, neben höheren Löhnen und Gehältern für Pflegende muss zukünftig auch ein entsprechender Zuschlag für Wagnis und Risiko der Unternehmer eingeplant werden. Schließlich schlagen die Personalkosten bei Pflegeeinrichtungen und -diensten im Schnitt mit mehr als 70 Prozent zu Buche. Und die höheren Löhne müssen Pflegeeinrichtungen auch bezahlen können, ohne ihre eigene Existenz zu gefährden, weil die nötigen finanziellen Mittel zur Sicherung und zum Weiterbestehen der Einrichtung schlichtweg fehlen. Bisher gibt es noch kein Zeichen seitens der Kostenträger, neben der Erhöhung der Gehälter auch die unternehmerischen Anforderungen in die Entgeltvereinbarung einzubeziehen und somit den Pflegeeinrichtungen zu ermöglichen, künftige Risiken erfolgreich abzudecken.
Fakt ist: Die deutsche Pflegereform benötigt eine rundum erneuerte und durchdachte Finanzreform. Denn es reicht nicht, dass Pflegekräfte künftig mehr verdienen und mehr Entscheidungsbefugnisse bei der Auswahl der richtigen Hilfsmittel sowie der häuslichen Versorgung von Pflegebedürftigen erhalten. All das will auch finanziert werden – und das nicht auf Kosten der Pflege, der Pflegenden und der Pflegebedürftigen mit ihren Angehörigen.
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Anja Sakwe Nakonji
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