Wie altersgerechte Wohnungen unsere Sozialsysteme entlasten können
Das Rentensystem: in Schieflage. Die Altenpflege: hohe Kosten, zu wenig Plätze, nicht genug Personal. Altersgerechter Wohnraum: Mangelware… Die Alterung der Gesellschaft setzt unser Sozial- und Gesundheitssystem an vielen Stellen unter Druck. Die Schaffung von bezahlbarem, altersgerechtem Wohnraum kann für eine erhebliche Entlastung sorgen. Wie das gelingen kann, zeigt das Institut für Corporate Governance in der deutschen Immobilienwirtschaft (ICG) in seinem aktuellen „Leitfaden Social Impact Investing – Senior Living 2030“. Wir haben die wesentlichen Inhalte hier für Sie zusammengefasst.
Nach einer Erhebung der Kreditanstalt für Wiederaufbau stehen in Deutschland derzeit weniger als 600.000 barrierefreie Wohnungen zur Verfügung. Der Bedarf liegt jedoch bei bis zu 2 Millionen. Weil das Angebot an bedarfsgerechtem Wohnraum so gering ist, passiert vor allem eines: Ältere Menschen verharren und vereinsamen in ihren angestammten Wohnungen, die in vielen Fällen zu groß, nicht barrierearm und daher unfallträchtig sind.
Alternativen gibt es kaum – schon gar nicht solche, die auch bezahlbar sind. Rund 60 Prozent der alleinstehenden Senioren haben ein monatliches Nettoeinkommen von unter 2.000 Euro. Ein Umzug in eine andere Wohnung kommt häufig auch aus finanziellen Gründen nicht in Frage. Dies gilt vor allem für Mittel- und Großstädte, in denen die Mieten in den letzten Jahren massiv gestiegen sind.
Barrierefreies Wohnen verringert Pflegebedürftigkeit
Eine hohe Zahl pflegebedürftiger Senioren in ungeeigneten Wohnungen sorgt jedoch an vielen Stellen im System für Stress: Die ambulante Versorgung ist in der Fläche aufwändig und wenig effizient. Ambulante Pflegedienste verbringen viel Zeit im Auto. Zu kleine Bäder, Treppen und enge Flure machen die Versorgung der Menschen zusätzlich mühsam. Und: Wer zuhause den Treppenabsatz herunterfällt und sich dabei z. B. einen Bruch zuzieht, wird schnell zum Pflegefall und kann dann nicht mehr daheim versorgt werden. Umgekehrt gesprochen: Wer barrierefrei wohnt und in seinem Quartier gut versorgt wird, bleibt länger selbstständig, hat eine höhere Lebensqualität und wird später, oder vielleicht gar nicht pflegebedürftig.
Und das wiederum entlastet die Pflegeversicherung, die in den nächsten Jahrzehnten deutlich mehr und vor allem auch längere Pflegebedürftigkeit finanzieren muss. Aktuell sorgen die 15 Prozent vollstationär versorgten Pflegebedürftigen für mehr als 35 Prozent der Kosten. Jede durch Prävention vermiedene oder verkürzte stationäre Versorgung ist daher ein doppelter Gewinn: Für die betroffenen Senioren und für die Beitragszahler.
Infrastruktur schaffen durch Social Impact Investing
Wie lässt sich dieser Zustand verbessern und mehr Pflegeprävention erreichen? Das Institut für Corporate Governance in der deutschen Immobilienwirtschaft (ICG) gibt in seinem Leitfaden darauf folgende Antwort: Social Impact Investing von Immobilieninvestoren in bedarfsgerechte und bezahlbare Wohnkonzepte und Quartierslösungen für Senioren.
Diese Strategie wird empfohlen, weil es ohne privates Kapital gar nicht geht: Der Staat kann und wird nicht im erforderlichen Maße die nötigen Mittel bereitstellen, um genügend altersgerechte Wohnungen zu bauen. Das gilt im Übrigen auch für andere demografisch nötige soziale Infrastruktur, wie z.B. Kindergärten, Schulen etc. Social Impact Investing ist aber auch deshalb eine sinnvolle Lösung, weil es ausreichend privates Kapital gibt, das solide und langfristige Anlagemöglichkeiten sucht. Gerade institutionelle Investoren wie Versicherungen, Pensionskassen, Stiftungen etc. suchen verstärkt nachhaltige, ESG konforme Anlagen, die auch einen gesellschaftlichen Nutzen stiften.
Rahmenbedingungen für Investitionen verbessern
Was muss sich tun, damit diese Investitionen in größerem Stil getätigt werden? Hier führt der Leitfaden eine ganze Reihe von Ansatzpunkten auf: Finanzierungsmodelle wie Social Bonds oder Public-Private-Partnerships können Projekte mit sozialem Nutzen fördern. Über Scoring-Systeme werden Investitionen messbar und können gezielt in soziale Infrastruktur gelenkt werden.
Darüber hinaus bedarf es einer klaren Nomenklatur für seniorengerechtes Wohnen mit definierten Benchmarks auf Basis bereits vorhandener Kriterien. Seniorengerechtes Wohnen ist keine einheitliche Asset-Klasse. Bewohnern, Bauwirtschaft, Investoren und Politik fehlt es daher oftmals an der Orientierung. Einheitliche Standards können die nötige Vergleichbarkeit und Transparenz schaffen.
Und schließlich kann die Politik für gezielte Investitionsanreize sorgen, um den altersgerechten Wohnungsbau zu fördern. In Frage kommen z.B. Förderprogramme, Zuschüsse, zinsgünstige Darlehen und Steuervergünstigungen. Auch von Änderungen im Bauplanungsrecht würden solche Projekte profitieren, etwa indem die Baunutzungsverordnung (BauNVO) für Senior Living-Projekte erweitert und entsprechende Genehmigungsverfahren vereinfacht werden.
Nachfrage und Kapital zusammenbringen
Fazit von Carsten Brinkmann, Terranus-Aufsichtsrat und Vorsitzender des Round-Table Senior Living beim ICG: „Der Ausbau von Senior Living ist eine gesellschaftspolitische Notwendigkeit. Jetzt ist die Zeit zu handeln, um zukunftsorientiert Wohnraum zu schaffen, der für die Zielgruppe erschwinglich ist, und in dem sich ältere Menschen sicher, wohl und wertgeschätzt fühlen.“
Die Nachfrage ist vorhanden, das private Kapital auch. Wohnungswirtschaft und Politik müssen jetzt gemeinsam die dafür nötigen Rahmenbedingungen schaffen. Der ICG-Leitfaden zeigt die Richtung auf und bietet eine Reihe von pragmatischen Lösungsansätzen und Diskussionsgrundlagen.
Den vollständigen Leitfaden können Sie hier herunterladen