Symptom des Mangels: Leiharbeit
Schichtarbeit, Überstunden und Urlaubssperre adé: Mit exzellenten Konditionen werben Zeitarbeitsfirmen ohnehin knappes Pflegepersonal ab. Das schröpft den Etat der Pflegeheime und belastet fest angestellte Mitarbeiter. In Berlin und bei den Betreibern formiert sich der Widerstand.
Der Berliner Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci reicht es. „Leiharbeit und Pflege vertragen sich grundsätzlich nicht“, erklärte sie öffentlich und kündigte eine Bundesratsinitiative zur Eindämmung noch im Frühjahr 2020 an. Und auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn macht inzwischen klar, „wir werden Anreize schaffen, Pflegekräfte fest anzustellen statt auf Leiharbeit auszuweichen.“ So viel Entschlossenheit in der Bundeshauptstadt begrüßen sowohl Betreiber von Pflegeheimen als auch fest angestellte Mitarbeiter und nicht zuletzt die Bewohner selbst.
Denn während die Zeitarbeitsfirmen wachsen und florieren, schäumt die Branche vor Zorn. Rund 37 Prozent der Pflegeheime und -dienste gibt an, dass Zeitarbeitsfirmen ihnen bereits sozialversicherungspflichtig Beschäftigte abgeworben hätten und dafür gar Prämien zahlten. Extrem teuer verleihen sie diese Leasingkräfte dann wieder an die Pflegebetriebe, denen deutschlandweit derzeit rund 50.000 Fachkräfte fehlen. Durchschnittlich zwischen 30 und 60 Euro zahlen Betreiber für die Zeitarbeitsstunde, das sind bis zu dreimal so viel wie eine reguläre Pflegekraft verdient. Von „einer Anleitung zur Plünderung“, spricht da gar Bernd Meurer, Präsident des Bundesverbands privater Anbieter sozialer Dienste (bpa), „das ist ein reiner Mitnahmeeffekt, den letztlich die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen bezahlen müssen.“
Kräfte-zehrend und unfair: Zeitarbeiter belasten das Stammteam
Und der noch zudem auf dem Rücken der fest angestellten Pflegeteams ausgetragen wird. Denn zu Diensten am Wochenende oder Feiertagen erklärten sich nur 19 Prozent der Zeitarbeitskräfte bereit, so eine bpa-Umfrage, das „Einspringen“ für kranke Kollegen oder wegen anderer Engpässe in den Dienstplänen lehnten sie meist völlig ab. Statt einer Entlastung erhöht sich so der Druck auf das Stammteam, zu ungünstigen Zeiten Dienste zu übernehmen.
„Dabei können wir es uns als Gesellschaft schlicht nicht erlauben, noch mehr Pflegekräfte wegen Überlastung zu verlieren“, warnt auch TERRANUS Geschäftsführerin Anja Sakwe Nakonji. Doch die physische wie psychische Belastung der fest angestellten Mitarbeiter steige gerade durch jene Kräfte, die die Engpässe eigentlich abmindern sollen. Spannungen in den Teams und weniger Solidarität unter den Kollegen entstehen da wie selbstverständlich. Zumal die Zeitarbeiter auch durchweg mehr verdienen, mitunter Fahrtkosten, Treue- oder Gesundheitsprämien erhalten.
Risiko gegen Mietfreiheit
Und dennoch bleibt den Betrieben kaum eine Alternative, denn das Geschäft mit den Leasingkräften ist nur das Symptom des grundlegenden Mangels. 60 Prozent aller Pflegeheime, so eine Studie der Evangelischen Bank, melden offene Fachkraftstellen, durchschnittlich seien sechs Stellen pro Heim unbesetzt. Doch der Markt ist leergefegt, jedes fünfte Pflegeheim meldete in den letzten Monaten einen Aufnahmestopp wegen Personalmangels.
Neue Wege zur Lösung des Problems jenseits der Zeitarbeit gäbe es. So denkt man auf Landesebene, etwa in Hamburg oder Berlin, unter Betreibern und in Verbänden darüber nach, Springerpools von freigestellten Vertretungskräften einzurichten, die mit Kranken- und Pflegekassen vereinbart werden könnten. Das würde die Kosten für Bewohner wie Betreiber reduzieren, vor allem aber die Belastung der Stammteams vermindern – und das auf lange Sicht. Denn der Fachkräftemangel selbst, da sind sich alle Akteure einig, wird Betreiber wie Gesellschaft noch lange begleiten.
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Anja Sakwe Nakonji
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